Sonderpädagogischer Förderbedarf
Verhaltensauffälligkeiten, Verhaltensstörungen,
herausforderndes Verhalten, verhaltensoriginelle Kinder
und Jugendliche und Störungen der sozial-emotionalen
Entwicklung - Erklärungsversuche
Ute Schnabel
„Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen
Entwicklung ist bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs-,
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht
der allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer Dienste ohne sonderpädagogische
Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können." (KMK 2000.) Wenn bei
Kindern und Jugendlichen lediglich entwicklungs- und situationsbedingte
Auffälligkeiten erkennbar werden, ohne dass die in der pädagogischen Ausgangslage
beschriebenen Problemebenen zu lang andauernden (mind. 6 Monate), verfestigten
oder übergreifenden Störungen führen, besteht kein sonderpädagogischer
Förderbedarf. In der Sächsischen Schulordnung für Förderschulen (SOFS)
werden im § 9 die Aufgabe und der Aufbau der Schule für Erziehungshilfe
beschrieben.
„ (1) An der Schule für Erziehungshilfe werden Schüler mit Förderbedarf im
Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung unterrichtet und betreut,
deren Förderbedarf
1. Folge von Entwicklungsstörungen oder traumatischen Erlebnissen ist und der durch
besondere Fördermaßnahmen wieder abgebaut werden kann oder
2. der auch oder ausschließlich auf soziokulturelle Einflüsse zurückzuführen ist und
bei denen die öffentliche oder freie Jugendhilfe bereits Hilfe zur Erziehung im Rahmen
der Kinder- und Jugendhilfe leistet."
(Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über Förderschulen im
Freistaat Sachsen -Schulordnung Förderschulen - SOFS §9 Abs.1, 01.08.2006)
Im Folgenden werden einige Erklärungsansätze für die Entstehung von
Verhaltensstörungen (VS) beschrieben, die jedoch allein nicht ausreichen, die
Komplexität der Störung ausreichend zu erfassen.
a, Der biophysische Ansatz: Verhaltensstörungen werden allein oder primär aus
medizinisch mehr oder minder nachweisbaren / wahrscheinlichen und postulierten
Abweichungen oder Schädigungen des physischen Organismus beschrieben. Die
Verhaltensstörung ist also eine dem Kind als Individuum zugehörige Eigenschaft.
b, Der psychoanalytische Ansatz: Die Ursachen für Verhaltensstörungen werden in
den Konfliktlagen des Kindes mit nahen Bezugspersonen in der frühen Kindheit
gesehen. Als Folgen ergeben sich überhöhte Über-Ich-Bildung und neurotische Ich-
Strukturen.
c, Der soziologische (interaktionstheoretische) Ansatz: Zeigt ein Schüler in einer
Gruppe ein von den individuellen und gruppenspezifischen Erwartungen
abweichendes Verhalten, besteht die Gefahr der Stigmatisierung, d.h. es kommt zu
einer negativen Zuschreibung. Es entstehen so genannte "Teufelskreise". Kann das
Kind diesen nicht entkommen, übernimmt es die ihm zugeschriebenen
Verhaltensweisen. Sowohl das Selbstwertgefühl als auch das Selbstanspruchsniveau
des Kindes werden herabgesetzt. Es wird sozial isoliert oder begibt sich in die soziale
Emigration.
d, Der ökologisch-systemische Ansatz: Hier werden die Ursachen für
Verhaltensauffälligkeiten hauptsächlich im Umfeld des Kindes gesucht. Das heißt, alle
relevanten Umweltbeziehungen des Kindes, sowohl personeller als auch materieller
Art, müssen in die diagnostische Betrachtung einbezogen werden. Der systemische
Ansatz stellt das Kind nicht isoliert in den Mittelpunkt, sondern zeigt das
Zusammenspiel von Personen und materiellen Systembedingungen auf.
e, Der handlungstheoretische Ansatz: Auf einem humanistischen Menschenbild
basierend, schreibt dieser Erklärungsansatz grundsätzlich jedem Menschen die
gleichen Fähigkeiten und Ressourcen als Entwicklungspotential zu. Er stellt die
Ressourcen des Betroffenen in den Mittelpunkt. Weiterhin beschreibt er die
individuelle, subjektive Wirklichkeitskonzeption eines jeden Menschen. D.h. konkretes
Verhalten und die damit verbundenen Handlungen sind nur aus der "Innensicht" der
betroffenen Person heraus zu verstehen. Aus den beiden vorher beschriebenen
Tatsachen ergibt sich ein Handlungsmodell, das als Ansatzpunkt für Diagnostik und
Förderung gelten kann.
f, Der lerntheoretische Ansatz: Nach lerntheoretischen Erkenntnissen ist jedes
Verhalten erlernt und kann demnach auch wieder verlernt werden. Verhalten wird
durch die ihm vorausgehenden Ereignisse direkt und die ihm nachfolgenden
Ereignisse indirekt gesteuert. Zum Aufbau und der Modifikation von Verhaltensweisen
führen drei Modelle:
- das klassische Konditionieren,
- das operante Konditionieren (Lernen an Konsequenzen),
- das Modelllernen.
Zusammenfassend muss man feststellen, dass das komplexe Verhalten des
Menschen durch ein Zusammenwirken der verschiedensten Arten des Lernens
zustande kommt und dass es auch medizinische Ursachen für VS gibt. Das
Förderzentrum stützt sich auf den komplexen pädagogischen Ansatz und beachtet
dabei sowohl fundierende Bedingungen wie auch situative, manifestierende und
eskalierende Bedingungen, die VS begünstigen können.
Sonderpäd. Förderbedarf